Nur anstrengender Sport bringt etwas: Diese Vorstellung ist überholt. Studien zeigen, dass vor allem die Bewegung im Alltag maßgeblich für unsere Gesundheit ist. Mitunter wirkt sie sogar effektiver als ein Training im Fitnessstudio. Was jede und jeder tun kann, um vitaler – und vor allem länger zu leben.
Wer gesund bleiben will, der sollte Sport treiben. Das ist zunächst einmal eine banale Erkenntnis. Und doch ist das Ziel, sich regelmäßig und ausreichend zu bewegen, nicht einfach umzusetzen. In einem eng getakteten Berufs- und Familienalltag fällt es der Mehrheit der Deutschen ausgesprochen schwer, körperlich aktiv zu sein. Zu groß ist meist die Erschöpfung nach einem anstrengenden Arbeitstag; und längst nicht jeder hat Spaß am Joggen oder Radfahren oder daran, ins Fitnessstudio zu gehen.
Zu zweieinhalb Stunden mäßig anstrengendem Sport in der Woche rät die Weltgesundheits-organisation WHO.
Tatsächlich erreicht nur eine Minderheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger dieses Ziel. Die anderen plagt nicht selten das schlechte Gewissen. Viele fragen sich: Was kann ich tun, wenn ich sehr wenig Zeit habe oder keine Lust auf regelmäßigen Sport? Wie lässt sich Bewegung in den Alltag integrieren? Lohnen sich die kleine Anstrengungen zwischendurch überhaupt – etwa Treppensteigen –, oder dienen sie nur der Selbstberuhigung? Gibt es vielleicht ein sportliches Minimalprogramm für Bewegungsmuffel?
Jeder Schritt zählt Fachleute geben darauf eine erstaunlich eindeutige Antwort: Jede Art von Bewegung nützt. Denn sie mobilisiert unseren Stoffwechsel, setzt komplexe körperliche Prozesse in Gang, die Stress reduzieren, unsere Psyche stärken und vor Krankheit schützen. Es ist zudem keineswegs zwingend notwendig, sich längere Zeit zu verausgaben, wie es beim Sport üblich ist. Auch kurzzeitige Anstrengungen summieren sich und können die Gesundheit deutlich verbessern, etwa viele kleine Bewegungen im Alltag.
Eine groß angelegte Studie aus Taiwan, bei der Forschende medizinische Daten von mehr als 400 000 Menschen ausgewertet haben, zeigte, wie lohnend bereits ein Minimum an Betriebsamkeit sein kann. Das Ergebnis der Untersuchung ist so verblüffend wie ermutigend: Schon wer täglich 15 Minuten auf irgendeine Weise körperlich aktiv ist – beim Gehen, Autowaschen oder Gärtnern vielleicht –, steigert seine Lebenserwartung im Schnitt um drei Jahre. Eine Viertelstunde Bewegung: In dieser Zeit können viele zügig zur Arbeit radeln. Oder den Rasen mähen. Und selbst energisches Putzen oder Staubsaugen ist sinnvoll. Besonders ratsam ist es Forschenden zufolge, Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen.
Wer täglich 1,4 Kilometer geht, so das Resultat einer britischen Studie, senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt, um ein Sechstel. Bei besonders eifrigen Spaziergängern, die mindestens 2,5 Kilometer täglich bewältigen, ist der Effekt noch stärker: Das Risiko mindert sich um über 30 Prozent.
Neue Gewohnheiten im Alltag schaffen
Für viele Menschen mögen bereits 1,4 Kilometer unerreichbar viel klingen. Doch auch hier gilt: Die Bewegung summiert sich. Im Alltag gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich Laufwege zu schaffen. So kann man zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause eine Station früher aus der U-Bahn aussteigen und den Rest zu Fuß laufen. Und wer konsequent Rolltreppen und Aufzüge meidet und stattdessen Treppen steigt, tut seiner Gesundheit (und seiner Figur) erwiesenermaßen Gutes.
Am Universitätsklinikum Genf verzichteten für eine Studie 77 Angestellte eine Zeit lang auf den Aufzug. Durchschnittlich stieg jeder Teilnehmer pro Tag 16 Etagen mehr hinauf und hinunter. Es dauerte nur drei Monate: Dann waren die Testpersonen deutlich ausdauernder, hatten im Schnitt mehr als ein Pfund abgenommen, und ihr Bauchumfang hatte sich um etwa 1,5 Zentimeter verringert. Wohlgemerkt: Diese Menschen hatten bis auf das Treppensteigen nichts in ihrem Leben verändert – und allein dadurch in relativ kurzer Zeit ihre Gesundheit spürbar verbessert.
Auch regelmäßige Arbeit im Haushalt kann offenbar dabei helfen, das körperliche Befinden positiv zu beeinflussen. Zu diesem Schluss gelangten schwedische Forschende in einer Langzeitstudie. Über zwölf Jahre hinweg dokumentierten die Fachleute die Gesundheit und das Bewegungsverhalten von mehr als 4000 Männern und Frauen im Alter von über 60 Jahren. Das Ergebnis: Wer im Alltag mehrmals pro Woche mäßig aktiv war, etwa beim Gärtnern, Heimwerken oder Einkaufen mit dem Fahrrad, hatte ein um bis zu 30 Prozent niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einen geringeren Cholesterinspiegel.
Selbst regelmäßige Alltagsaktivitäten wir Gärtnern verringern das Risiko, an schweren Leiden zu erkranken
Eine weitere Studie an 1,1 Millionen Britinnen kam zu einem ähnlichen Resultat: Jene Teilnehmerinnen, die mindestens zwei bis drei Stunden die Woche im Garten oder Haushalt arbeiteten, erlitten deutlich seltener einen Schlaganfall oder eine Gefäßverstopfung.
Daher betonen immer mehr Forschende, wie wichtig eine solche Alltagsaktivität ist – und nicht nur als Ausgleich für Sportmuffel, sondern ebenso für Hobbyathleten. Denn die gestückelten Bewegungseinheiten (ob Treppensteigen im Büro, Staubsaugen oder Gärtnern zu Hause) haben einen gewichtigen Vorteil: Sie unterbrechen Phasen des Sitzens, einer zwar bequemen, doch auf Dauer ungesunden Körperhaltung. Erwachsene verbringen im Schnitt neun Stunden ihrer wachen Zeit auf Stühlen. Ab einem Alter von 60 Jahren sitzen Menschen sogar rund zehn Stunden täglich. Das Dauerhocken kann orthopädische Schäden verursachen: Die Muskeln verspannen sich, Muskelfasern und Bandscheiben werden schlechter mit Nährstoffen versorgt. Wer außerdem gebeugt am Schreibtisch sitzt, engt die Lunge und die Verdauungsorgane ein und riskiert einen Rundrücken. Mehr noch: Studien zufolge fördert das Dauersitzen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme, Fettleibigkeit und Bluthochdruck. Vermutlich erhöht es sogar das Risiko für mehrere Krebsarten. Wer zu viel sitzt, nimmt also rascher zu, wird eher krank, und stirbt im Mittel früher – selbst dann, wie einige Forschende vermuten, wenn er sich nach einem Tag auf dem Schreibtischstuhl noch zum Sport aufrafft. Ein Fitnessmuffel, der tagsüber bei der Arbeit oft auf den Beinen ist, lebt demnach vermutlich gesünder als ein acht Stunden lang dauersitzender Mensch im Büro, der nach Feierabend regelmäßig ins Fitnessstudio geht. Dabei lassen sich die negativen Effekte des langen Sitzens recht einfach vermeiden. So hat eine australische Studie gezeigt, dass sich bereits knappe Unterbrechungen positiv auswirken. Selbst Stehen oder kurzes Umhergehen regen den Stoffwechsel an, mit allen positiven Begleiterscheinungen.
Tricks helfen, Routinen zu unterbrechen
Doch wie gelingt es einem, sich genügend oft von seinem Stuhl zu erheben? Es gibt ein paar einfache Tricks, mit denen sich jeder im Büroalltag selbst Impulse für regelmäßiges Aufstehen geben kann: indem man beispielsweise den Papierkorb in der Zimmerecke platziert, indem man viel trinkt und dadurch häufig die Toilette aufsucht oder indem man einen Gemeinschaftsdrucker im Nebenraum nutzt.
Die Macht der Gewohnheit, die einen zur Trägheit verleitet, kann uns sogar unterstützen: Studien zeigen, dass ein neues Verhalten, etwa ein Spaziergang auf dem Nachhauseweg, schon binnen weniger Wochen zur Routine wird, sofern man sich konsequent daran hält. Wer also eine Zeit lang bewusst darauf achtet, statt den Fahrstuhl die Treppe zu nehmen, morgens oder abends eine gewisse Distanz zu Fuß zurückzulegen, im Büro beim Telefonieren aufzustehen, mehrmals am Tag in die Küche zu laufen und sich einen Tee zu kochen oder jeden Samstag zu staubsaugen – der kann bald nicht mehr anders. Je mehr es uns gelingt, solch scheinbar simplen Bewegungen auf Dauer im Alltag umzusetzen, desto größer ist am Ende des Tages die Summe unserer gesamten Aktivität. Und damit auch das Plus für unsere Gesundheit.
Vor allem das Immunsystem profitiert
Eine der wichtigsten Schutzfunktionen maßvoller sportlicher Betätigung besteht in ihrer Wirkung auf unser Immunsystem: Wird der Körper aktiv, produziert er mehr weiße Blutkörperchen eines bestimmten Typs, die als Abwehrzellen gefährliche Eindringlinge und Fremdstoffe bekämpfen. Mit zunehmendem Alter arbeiten in unserem Körper jedoch immer weniger dieser Zellen. Doch jeder Mensch, der sich regelmäßig bewegt, kann diesen Prozess stark verlangsamen. Unserer körpereigene Abwehr wird gerade durch moderate Aktivitäten wie Spazierengehen besonders gestärkt.
Regelmäßiger Sport lässt außerdem die Zahl von entzündungshemmenden Immunzellen im Blut ansteigen. Auf diese Weise kann Sport zahlreichen Krankheiten vorbeugen, die infolge chronischer Entzündungsprozesse entstehen, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.
Mehr noch: Wer fortgesetzt aktiv ist, fördert das Immunsystem, die DNA-Reparatur und die Entgiftung seines Körpers derart, dass er dadurch sogar bösartigen Tumoren vorbeugen und auch eine Krebsbehandlung wirksam unterstützen kann. In einer Langzeituntersuchung mit über 25 000 Frauen fanden Forschende heraus, dass regelmäßiger Sport von mindestens vier Stunden pro Woche das Brustkrebsrisiko deutlich senken kann. Laut einer anderen Langzeitstudie mit fast 41 000 Männern sank das Risiko, an Krebs zu sterben, um ein Drittel, wenn die Probanden im Durchschnitt täglich nur eine halbe Stunde Rad fuhren oder spazieren gingen.
Moderates Training ist besser als stark forderndes
Zudem hebt Sport die Stimmung – und positive Emotionen stärken das Immunsystem zusätzlich. Allein gegen Infekte bietet viel Sport nicht automatisch den größtmöglichen Schutz. Im Gegenteil: Hartes, den Körper stark forderndes Training schwächt das Immunsystem sogar kurzzeitig, sodass etwa Schwimmerinnen, Läufer oder Radfahrerinnen nach sehr intensiver oder lang andauernder Anstrengung vorübergehend anfälliger sind für bestimmte Erkrankungen. Durch hohe Belastung, zum Beispiel bei einem Marathon, steigt die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut, wodurch wiederum auf komplexe Weise die Abwehrfunktion des Körpers sinken kann.
Ideal für das Immunsystem ist daher ein eher moderates und regelmäßiges Training, am besten an der frischen Luft. Insbesondere Ausdaueraktivitäten wie Joggen, Radfahren oder Schwimmen kurbeln die Körperabwehr an. Schweißtreibender Sport ist nicht nötig.
von Bertram Weiss und Henning Engeln (GEO plus)
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