MBCT verbindet Achtsamkeitslehre und Kognitive Verhaltenstherapie. Auf dem Verfahren ruhen Hoffnungen für alle, die unter Depressionen, Ängsten und Zwängen leiden. Die Öffnung der Psychotherapie für buddhistische Lehren weist neue Wege der Behandlung.
Folgenden Artikel übernimmt BRAINFOODMOVES inhaltlich von Stefanie Maeck, GEOplus v. 28.08.2023
Frau Juchmann, Sie sind Psychotherapeutin und leiten MBCT-Kurse. Auf MBCT ruhen derzeit große Hoffnungen für all jene Menschen, die unter Depressionen und Ängsten leiden. Was steckt dahinter?
Ulrike Juchmann: Die Abkürzung MBCT steht für Mindfulness Based CognitiveTherapy und kombiniert Elemente der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion mit Modulen der Verhaltenstherapie. Das Verfahren wurde von den klinischen Forschenden Segal, Teasdale und Williams über Jahre entwickelt. Sie erhielten von der britischen Regierung die Aufgabe, eine Prophylaxe für Depressionspatienten zu entwickeln, um neuerlichen Rückfällen in eine Depression vorzubeugen.
Wie gingen sie vor?
Die Forschenden fragten sich zunächst, welche Inhalte aus der Verhaltenstherapie sie in einen solchen Kurs im Gesundheitssystem integrieren müssten, die einerseits mit ihren Forschungsergebnissen übereinstimmten und andererseits eine neuerliche depressive Episode verhindern könnten. Durch eine Freundin, die berühmte Psychologin Marsha M. Lineham, kamen sie auf die Idee, Achtsamkeitspraxis in das Programm zu integrieren. Sie reisten zu Jon Kabat-Zinn in die USA, um zu sehen, wie er achtsamkeitsbasierte Stressreduktion unterrichtete. Sie vermuteten, dass Meditation auch für Menschen mit Depressionen hilfreich sein könnte.
Wie gut passen heutige Ansätze wie die Verhaltenstherapie und buddhistische Achtsamkeitsschule zusammen?
Die Verhaltenstherapie hat sich viele Bausteine aus dem Buddhismus zu eigen gemacht, die Buddhisten bereits vor Jahrtausenden erkannt hatten: Wie Denken, Fühlen, Körpererfahrung und Verhalten zusammenhängen, hat den Buddhismus schon immer beschäftigt. Wenn es in ihren Schriften heißt: "Werde dir deiner geistigen Zustände und Gedanken bewusst, nehme deinen Körper wahr", dann mag man sich geradezu fragen, ob die Verfasser in verhaltenstherapeutischer Ausbildung waren? Bei depressiven Menschen sind die Ebenen von Denken und Fühlen oft ungünstig verknüpft und können neue Episoden eines Seelentiefs begünstigen: In MBCT-Kursen gibt es daher Übungen zum Beobachten und Wahrnehmen von Gedanken und Gefühlen, genau wie gelehrt wird, Frühwarnzeichen einer Depression auszumachen. Die kognitive Verhaltenstherapie steuert Aufklärung bei, Psychoedukation darüber, was Depressionen begünstigt.
Was ist MBCT in einem Satz?
Im Kern geht es darum, einen neuen Umgang mit herausfordernden und belastenden Gedanken und Gefühlen zu finden, um nicht in den negativen Strudel zu geraten und einen Rückfall zu erleiden. Das ist das zentrale Anliegen von MBCT.
Welche schlechten Strategien halten Depressionen aufrecht und führen zu Rückfällen?
Die Therapieforschung weiß inzwischen ja viel über Negativspiralen, die Menschen tiefer in ein Seelentief reiten.
Gewisse Problemlösungsstrategien führen tatsächlich mehr in das Problem hinein, als dass sie helfen. Da wäre einmal das Grübeln, also der Versuch, sich aus einer schwierigen Erfahrung hinausdenken zu wollen. Dies ist eine kulturell gelernte Technik, doch sie wirkt fatal. Man kann sich als Metapher einen Jeep in der Wüste vorstellen, der feststeckt. Der Fahrer gibt mehr Gas, um hinauszugelangen, und versinkt immer tiefer im Treibsand. Neben Grübeln ist Vermeiden ungünstig, also in schwierigen Situationen wegzugucken und nicht mehr in die Aktivität zu gehen. Auch Rückzug ist ein Verhalten, das Depressionen begünstigt. Menschen werden in depressiven Phasen selbstabwertender, sind unfreundlich mit sich. Dieser Umgang verschlimmert ein heraufziehendes Tief.
Welche günstigeren Strategien könnte man dem gegenüberstellen?
Die wesentlich gesündere Strategie bei Grübel-Gedanken lautet: "Geh aus dem Kopf in den Körper!" Dadurch gelangt man in die Gegenwart. Grübeln ist vergangenheitsorientiert, kreist beispielsweise um belastende Ereignisse. Ein Grübelgedanke führt zum nächsten und gilt der Forschung inzwischen als Brandbeschleuniger für depressive Stimmung. Angstgedanken hingegen sind sorgenvoll auf die Zukunft bezogen. MBCT schlägt hingegen als Prophylaxe vor, in die Gegenwart zu kommen. Die Kursteilnehmenden lernen, ihren Körper zu spüren, den Atem zu fokussieren und sich Gedanken und Gefühlen anders zuzuwenden. Abwärtsspiralen können so aufgehalten werden.
Die Automatismen, die sich in einem Depressionsprozess schnell aufschaukeln, werden gezielt unterbrochen:
Betrachten wir etwa die Übung "Atemraum". Ich bezeichne sie gern als Rückgrat von MBCT. Die Übung funktioniert in drei Stufen. Zunächst hält der Übende inne und wendet sich seiner gegenwärtigen Erfahrung zu: Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen werden kurz wahrgenommen. Teilnehmende verlassen dadurch den Modus des Autopiloten, der im Alltag bei vielen dominiert: Man ist so getrieben, dass man gar nicht registriert, wie es einem geht. In einem zweiten Schritt wird die Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet, wodurch es Menschen gelingt, sich besser in der Gegenwart zu verankern. In einem dritten Schritt wird die Aufmerksamkeit geweitet, etwa auf die räumliche Umgebung ausgedehnt. Betroffene können so lernen, die Aufmerksamkeit zu steuern, Grübeln und Selbstabwertung zu unterbrechen.
Wirkt das schnell bei depressiven Rückfällen?
Meditation braucht Zeit. Die Idee ist zu üben und mit sich in Kontakt zu kommen und sich seiner selbst bewusst zu sein. Es geht darum, sich anders in Beziehung zu sich und seinem Innenleben zu setzen, also zur Erfahrung, die man gerade erlebt. Auch die Inhalte des Denkens und Fühlens gilt es nicht zu verändern, sondern lediglich anders auf diese zu reagieren.
Herausforderndes zu vermeiden, begünstigt ebenfalls ein neuerliches Tief, sagen Sie:
Die neue und gesündere Strategie würde lauten, sich einer schmerzlichen oder stressenden Erfahrung zuzuwenden, also gerade nicht wegzugehen, sondern zu ihr hin. Ich sage gern etwas scherzhaft: "Meditation ist nichts für Feiglinge." Sich bei Schmerzen, Depressionen oder einer Panikattacke dem zuzuwenden, was einen bedrängt, ist ja erst einmal kontraintuitiv.
Mit welcher Haltung begegnet man denn dann dem Schmerz oder der Angst?
Die innere Haltung ist wohlwollend, neugierig-beobachtend und offen gegenüber allen Erfahrungen. Oft braucht es Geduld und manchmal nützt sogar Humor. Der Schlusssatz der Atemraum-Übung fängt das gut ein: "Ja, so ist das gerade in diesem Moment, es darf so sein, wie es ist."Es geht also um Annahme.
Sie sind eine erfahrene Therapeutin: Warum sollte es helfen, sich seinem Schmerz und der Traurigkeit so zuzuwenden – es ist doch okay, dass man sie nicht haben will?
Im Kern geht es um freundliche Akzeptanz als Kern buddhistischer Lehre, und diese verändert viel im Leben von Menschen. Wenn man etwas nicht akzeptiert, kann man es auch nicht verändern. Wer beispielsweise den Tod eines Menschen nicht annimmt, kann den Schmerz über den Verlust auch schlechter loslassen. Akzeptanz ist grundlegend für Veränderung und sogar dafür, dass man ins Handeln kommt. Wie heilsam es ist, Dinge zuzulassen, macht ein MBCT-Training sehr gut erfahrbar.
Eine sofortige Reaktion auf minimale Änderungen der Stimmung verschlechtert den Zustand von Depressions- oder Angstpatienten ebenfalls sehr häufig: Bemerkt ein Betroffener eine Verdüsterung der Gefühlslage geraten nicht wenige in Katastrophenstimmung. Sie fürchten einen Rückfall, beginnen, darüber intensiv nachzugrübeln, und geraten über der Selbstbeobachtung tatsächlich in einen Abwärtssog. Es gibt ein schönes Zitat des Psychologen Victor Frankl, der sagte: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die menschliche Freiheit. Das Reiz-Reaktionsmuster zu durchbrechen ist stärkend. Menschen lernen durch MBCT, aus dem Hamsterrad automatischer Muster auszusteigen. Sie lernen, dass ein bestimmter Gedanke oder ein negatives Gefühl nicht unbedingt mit Rückzug oder Selbstabwertung beantwortet werden muss. Man kann wählen! Dadurch entsteht ein Raum der Möglichkeiten. Durch Üben wird erfahrbar, welche anderen Strategien im Umgang mit Ängsten und Depressionen möglich sind. Die Mindfulness Based CognitiveTherapy fördert erfahrungsbasiertes Lernen.
Offenbar wird gelernt, dass der Fokus der Aufmerksamkeit selbst steuerbar ist. Studien zeigen, dass MBCT auch gut bei Patienten mit Traumatisierung wirkt.
Menschen mit einer Traumatisierung erlebten Kontrollverlust und Überwältigung. Beim MBCT lernen sie, in die Gegenwart zu kommen. Das ist hilfreich, wenn denjenigen Flashbacks quälen. Zum anderen erleben sie, dass sie Wahlmöglichkeiten haben. Zu wählen ist das Gegenteil traumatischer Überwältigung, bei der Menschen von andrängenden Erfahrungen einst überflutet wurden.
Es ergibt demnach also Sinn, Elemente aus MBCT in reguläre Psychotherapien zu integrieren, um Menschen Werkzeuge für ihr Leben an die Hand zu geben.
Noch wird MBCT oft nur als acht Wochen Kurs unterrichtet. Aber wenn in Zukunft mehr Therapeuten und Therapeutinnen vertraut mit den Techniken und Ideen aus dem Kurs sind, dann können sicherlich einzelne Bausteine herausgegriffen werden und Betroffene von Beschwerden wie Zwängen, Ängsten oder Schmerz sehr im Alltag profitieren, wenn sie aus ungünstigen Ketten aussteigen und Werkzeuge zur Hand haben, um Anspannung und Stress zu begegnen. Doch ein acht Wochenkurs ist als Einstieg durchaus zu empfehlen.Auch Patienten mit Angst und Panik sprechen Experten zufolge sehr gut auf MBCT an. Betroffene von Angststörungen, die etwa leicht in den Panikmodus geraten, nehmen den Körper während einer solchen Attacke überängstlich wahr. Bei der Übung Body Scan sagen sie im Kurs sehr oft, dass sie das doch eh die ganze Zeit tun würden, den Körper abzuscannen. Dagegen ist es sehr wichtig, sich den Unterschied dieser besorgten Zuwendung zu einer förderlichen Körperwahrnehmung bewusst zu machen. Mit kleinen Übungen kann man lernen, sich über den Atem zu beruhigen: Damit lässt sich aufziehender Panik oft der Nährboden entziehen.
Wie wissenschaftlich gesichert sind die Erkenntnisse über MBCT?
MBCT wird in den S3-Leitlinien zur wissenschaftlich fundierten Therapie von Depressionspatienten als Rückfallprävention empfohlen. Die Indikatoren solcher Leitlinien sind wissenschaftlich streng. Es gibt valide Hinweise, dass Rückfälle um bis zu 50 Prozent abnehmen und viele Betroffene sogar ihr Antidepressivum absetzen können. Die positiven Effekte lassen sich darauf zurückführen, dass Betroffene durch die Kursinhalte lernen, ihre Gefühle besser zu regulieren, die Grübelneigung abnimmt und größerer Abstand von Gefühlen gelingt. Es braucht jedoch noch mehr gut gemachte Studien, um die praktische Wirkung besser zu erforschen.
Ist die Verknüpfung von Psychotherapie und Buddhismus ein vielversprechendes Zukunftsfeld?
Ich glaube, die buddhistische Philosophie kann viele heutige Psychotherapiemethoden befruchten und dort ergänzen, wo westliche Heilmethoden noch blinde Flecken haben. Alles, was eine Haltung des Zulassens und der Annahme impliziert, fällt modernen Menschen tendenziell schwer und ist in Lehren des Buddhismus besser bedacht – heutige Zeitgenossen mit ihren Ängsten, Sorgen und Schmerzen profitieren. Endlich ziehen entsprechende Weisheiten mehr und mehr in therapeutische Programme ein.
Wer nun interessiert ist, wo findet er oder sie Hilfe und ansprechbare Experten?
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Und nach einem solchen Kurs sind Menschen schließlich Experte oder Expertin für ihre eigene Depression, können Frühwarnzeichen und Trigger besser erkennen?Sie merken früher, wenn sie in Richtung Depressivität schlittern oder zur Angststörung unterwegs sind. Sie lernen etwa durch die Übung "Atemraum" innezuhalten und zu registrieren, was im Moment bei ihnen los ist. Das ist Gold wert, um bewusster und liebevoller mit sich umzugehen.
Lese-Tipp: Ulrike Juchmann: Achtsamkeitsbasierte Psychotherapie bei Depressionen und Ängsten. MBCT in der Praxis. Beltz 2020
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